Freitag, April 19

Vom Gehirnwindungen verdrehen: Gundula Ludwigs Arbeit mit politischen Theorien

von Marina Schmidt
Lesezeit
: ca. 6 Minuten

Gundula Ludwig
@michelleschmollgruber

Wir sprechen heute mit Gundula Ludwig vom CGI und lassen uns zuerst mal erklären, was das CGI eigentlich ist. Die Abkürzung steht für Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck und das beschreibt es eigentlich schon ganz gut. Die Forschungsplattform, die den Austausch fördern soll, zählt über 170 Mitglieder aus verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen, die sich alle in irgendeiner Weise mit Geschlechterforschung beschäftigen. Seit 2019 gibt es das CGI außerdem in einer zweiten Funktion als Organisationseinheit innerhalb der Universität Innsbruck, quasi wie ein eigenes Institut, das zurzeit sieben, bald neun, Mitarbeiter*innen zählt. Während in vielen Ländern in den letzten Jahren vermehrt Gender-Zentren abgebaut und viele Stellen nicht mehr nachbesetzt wurden, wird die Geschlechterforschung in Innsbruck also bewusst gefördert.

Mit dem CGI gibt es hier einen lebendigen, inter- und transdisziplinären Ort des Austauschs, der sich beständig vergrößert und dadurch immer noch mehr Möglichkeiten für Forschung und Lehre in den Gender Studies schafft – eine überaus wichtige Entwicklung und vielversprechende Gelegenheit für alle beteiligten Wissenschaftler*innen. Denn auch wenn es, wie uns Gundula Ludwig im Laufe unseres Gesprächs noch näherbringen wird, für die Arbeit mit Theorien wie auch für jede andere Art der wissenschaftlichen Arbeit jedenfalls Denkleistung und somit Einzelarbeit braucht, so sind doch Gedankenaustausch, anregende Gespräche, neue Perspektiven und Zusammenarbeit mindestens genauso wichtig, um produktiv forschen und arbeiten zu können.

So viel zum CGI, nun zu unserer Gesprächspartnerin Gundula Ludwig: Sie erklärt uns, dass sie vor allem mit Theorien arbeitet und sich dabei mit verschiedenen Themenfeldern beschäftigt, die sie in Kombination mit queer-feministischen und intersektionalen Perspektiven denkt. Konkret befasst sie sich dabei vor allem mit verschiedenen Texten, verbindet und analysiert verschiedene Theorien und theoretische Texte und/oder schaut sich Diskurse zu bestimmten Themenfeldern an. Ihr fragt euch jetzt, was queer-feministisch und intersektional bedeutet und was ihr unter der Analyse eines Diskurses verstehen sollt?

Queer-feministisch meint eine Sichtweise, die explizit nicht vom traditionellerweise verwendeten Standpunkt eines weißen, westeuropäischen, heteronormativen Mannes der Mittelklasse ausgeht, sondern versucht, Themen aus einer anderen, queeren und feministischen Perspektive anzugehen und zu bearbeiten, also Frauen bzw. FLINTA* und queere Personen entweder explizit mitdenkt oder sogar in den Mittelpunkt rückt. Auf diese Weise wird es möglich, die Vorstellung, dass es vermeintlich nur zwei Geschlechter gibt oder dass Heterosexualität „natürlich“ sei, als Resultat von Macht sichtbar zu machen.

Intersektionalität macht prinzipiell das gleiche, also stellt ebenso das vermeintlich „Gegebene“ in Frage, nur, dass sie sogar noch weitergeht und alle möglichen Formen der Diskriminierung und deren Überschneidungen (= Intersektionen) einbezieht wie zum Beispiel den sozialen oder ökonomischen Hintergrund, rassistische oder ableistische Benachteiligung oder eben auch das Geschlecht oder die Sexualität einer Person.

Definition FLINTA*: Die Abkürzung steht für Frauen, Lesben, Inter*Personen, Non-Binary*Personen, trans*Personen und Agender*Personen. Das Sternchen am Ende steht für alle nicht cis-männlichen Personen, die in den Abkürzungen nicht explizit vorkommen aber mitgemeint sind.

Definition Ableismus: Dieser Begriff bezeichnet die Diskriminierung von Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen oder chronischen Krankheiten.

Kurz an einem Beispiel erklärt: Eine weiße Niederösterreicherin aus der Mittelklasse und eine Schwarze, lesbische Nigerianerin, die ursprünglich aus armen Verhältnissen stammt, leben beide in Wien. Im Laufe ihres Lebens werden beide vermutlich Diskriminierungen aufgrund ihres Frau-Seins erfahren, zum Beispiel, indem ihnen als typisch weiblich gedachte Eigenschaften wie Schwäche oder Emotionalität in einem negativen Sinn zugeschrieben werden, indem bei einer Stellenbewerbung männliche Bewerber bevorzugt werden oder indem ihre Körper sexualisiert und sie belästigt werden.

Bei der zweiten Person kommen allerdings noch zusätzliche Benachteiligungen durch Rassismus, ihre Sexualität und ihren ökonomischen Hintergrund hinzu. So ist es wahrscheinlich, dass sie auf der Straße angepöbelt oder in Sozialen Medien beschimpft wird, entweder aufgrund von Rassismus oder wenn sie sich zum Beispiel öffentlich mit ihrer Partnerin zeigt. Ebenso ist ein akademischer Bildungsweg und damit verbundener gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Aufstieg für sie aufgrund von finanziellen, sprachlichen und sozialen Barrieren schwieriger zu erreichen und rein statistisch unwahrscheinlicher. Diese Erfahrungen der Diskriminierung verschränken sich miteinander.

Bei einer Diskursanalyse werden Diskurse, also Wissensformen zu bestimmten Themen, Ereignissen oder Entwicklungen untersucht. Konkret könnt ihr euch beispielsweise einen Vergleich von Berichten verschiedener Zeitungen über eine bestimmte Naturkatastrophe vorstellen, oder eine Analyse von theoretischen Abhandlungen zur Einführung des Frauenwahlrechts.

Gundula Ludwig führt nun also einerseits solche Diskursanalysen durch und verbindet und analysiert andererseits verschiedene Theorien, dabei nimmt sie immer Bezug auf die oben erklärten queer-feministischen und intersektionalen Perspektiven. Dieser Standpunkt eröffnet oftmals einen ganz neuen Blick auf Theorien, die bereits vor Jahren oder Jahrzehnten formuliert wurden und auf diese Weise nochmals neu durchdacht werden können, erklärt sie uns und führt dies an einem Beispiel aus: Es sei eine politische Technik oder eine Herrschaftstechnik, Menschen von Wissen auszuschließen, weshalb es eine wichtige Aufgabe sei, die Komplexität der Welt zu durchdringen oder dies zu versuchen. Dabei habe sie die Erfahrung gemacht, dass es oft schwieriger und komplexer sei, den gegebenen Ideologien zu folgen, „als die Entlarvung der Ideologien durch Theorien zu denken.“ Nachdem wir uns nicht so wirklich etwas darunter vorstellen können, beschreibt Gundula Ludwig das ganz konkret am Beispiel der Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus: „Eigentlich machen wir jeden Tag die Erfahrung, dass Kapitalismus weder gerecht noch nachhaltig ist. Das sehen wir, wenn wir wohnungslosen Menschen in Innsbruck begegnen und wir sehen das an Altersarmut, bei der Frage, wer wie viel erbt, oder welche Klassen nach wie vor an den Universitäten vertreten sind. Wir machen täglich die Erfahrung, dass der Kapitalismus ohne Geschlechterverhältnisse, ohne Rassismus, ohne ökonomisches Desaster nicht existieren könnte, wenn wir an Sorge-Arbeit oder globale Ausbeutungsverhältnisse denken. Trotzdem leben wir jeden Tag darin und die meisten Menschen denken, ,ja, wahrscheinlich ist Kapitalismus die beste Möglichkeit‘“, erklärt Ludwig. Laut ihr braucht es also „viel mehr Umdrehungen und Verdrehungen der Gehirnwindungen, um das zu verstehen und zu denken“ als für die Auseinandersetzung mit verschiedenen Theorien.

Viele stellen sich das Arbeiten mit Theorien wohl im ersten Moment trocken und langweilig vor, doch Gundula Ludwig überzeugt uns im Laufe unseres Gesprächs durch ihre Begeisterung und ihre Beschreibung der Möglichkeiten, die sich durch ihre Arbeit eröffnen, vom Gegenteil. Sie sieht (zukünftige) Betätigungsfelder ihrer Forschung vor allem in einer queerfeministischen Neuausrichtung von Staatstheorie, in der Analyse des Zusammenhangs zwischen Geschlecht und Gewalt und zwischen Kapitalismus und Heteronormativität oder auch in der Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und der momentanen Krise der Demokratie sowie der damit einhergehenden Autoritarisierung von Gesellschaft und Politik.
Besonders spannend empfindet sie an ihrer Arbeit sogenannte Prozesse der „Entselbstverständlichung“. Dabei wird davon ausgegangen, dass nichts naturgegeben, sondern alles in irgendeiner Form historisch gewachsen und durch verschiedenste Umstände entstanden ist. Durch das Hinterfragen und Mit-einem-anderen-Blick-darauf-Schauen können Strukturen und Bedingungen, die das Entstehen von beispielsweise bestimmten Gesellschaftsformen ermöglichten, ausfindig gemacht werden. Ludwig betont, dass Gesellschaften immer herrschaftsförmig strukturiert sind, Macht also immer ungleich verteilt ist. Dies fällt vielen Menschen gar nicht auf, da es in deren Augen nie anders war und sozusagen den natürlichen Zustand bildet. Wie wir aber gerade gelernt haben, sollten wir eben nie davon ausgehen, dass irgendetwas naturgegeben ist, weshalb wir diese Macht- und Herrschaftsverhältnisse hinterfragen können.

Dies ist auch genau die Erkenntnis, oder wie sie es nennt, „der Werkzeugkoffer“, die bzw. den Gundula Ludwig ihren Studierenden und auch Studierenden anderer Fachrichtungen und eigentlich allen mitgeben möchte: Sie wünscht sich, dass sich viel mehr Menschen mit bestimmten Fragen zu Gesellschaft, Politik und Macht auseinandersetzen, alles hinterfragen und darüber reflektieren, was eigentlich als Wissen und Wahrheit gilt, wodurch die Diskurse bestimmt sind, die wir führen, und einfach mehr „outside the box“ denken.

Weiterführende Links:

Gundula Ludwig an der Universität Innsbruck:
https://www.uibk.ac.at/geschlechterforschung/cgi/team/ludwig/gundula-ludwig.html.de

CGI – Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung Innsbruck:
https://www.uibk.ac.at/geschlechterforschung/

FUQS (Feministische und Queere Schriftbeiträge Innsbruck) Blog des CGI – das Team des FUQS Blog ist noch auf der Suche nach interessierten Studierenden, die sich beteiligen wollen. Alle Infos und den Blog findet ihr hier:
https://fuqsblog.com/

Publikationen:

(2021): Körper und politische (An-)Ordnungen. Zur Bedeutung von Körpern in der modernen westlichen Politischen Theorie. In: Politische Vierteljahresschrift. 62, 643-669.
https://link.springer.com/article/10.1007/s11615-021-00357-4

(2021): Politiken des Lebens. Der vergeschlechtlichte Staat in der Corona-Krise. In: Rechtshandbuch für Frauen und Gleichstellungsbeauftragte, 4/2021.

(2020): Körperpolitiken und Demokratie. Sozialhygienische Wissensregime als Technik der Demokratisierung in der Weimarer Republik. In: Body Politics. Zeitschrift für Körpergeschichte, 75-95.
http://bodypolitics.de/de/wp-content/uploads/2020/04/ch05-ludwig.pdf

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