Freitag, März 29

Die Energie in unseren Zellen – Was Stress alles auslösen kann (Teil 2)

Alexander Karabatsiakis ©AK

Teil 1 des Artikels findest du hier.

Von Simon Schöpf
Lesezeit:
ca. 6 Minuten

Therapiemöglichkeiten: Die drei-PM

Ein nächster Schritt ist auch zu untersuchen, wie sich Therapien auf die zelluläre Ebene auswirken. In einer Pilotstudie wurden traumatisierte oder depressive Patient*innen mit der kontralateralen Augenstimulation (EMDR – Eye Movement Desensitization and Reprocessing) behandelt. Es zeigte sich, dass das Funktionsniveau der behandelten Personen sich verbesserte und sich auch die mitochondriale Funktionalität im Vergleich zur Kontrollgruppe normalisierte.

Hierbei soll vermehrt auf die 3PM Regel gesetzt werden: Predictive, Preventive and Personalized Medicine. Also vorausschauende, vorbeugende und personalisierte Medizin, um Patient*innen ein maßgeschneidertes therapeutisches Verfahren zu ermöglichen. Es gibt bereits die Psycho-Onkologie, aber z.B. noch keine Psycho-Diabetologie oder Psycho-Kardiologie. Eine systemische Betrachtung des Körpers bzw. von Krankheiten ist bisher nur selten in den Fokus der modernen Medizin gerückt.

Derzeit werden depressive Menschen meist mit Antidepressiva behandelt. Wenn Präparat Nummer eins nicht hilft, wird zu Präparat zwei, drei usw. gewechselt. Der wichtiger translationaler Ansatz wäre, eine Blutprobe zu nehmen und die Immunzellen in der Probe mit den verschiedenen Präparaten und verschiedenen Dosierungen zu exponieren. Die Präparate, die z. B. die mitochondriale Versorgung steigern und die Produktion freier Radikale reduzieren und so am besten geeignet sind, können dann gezielt dem/der Patient*in verabreicht werden. „Tailored Medicine“ – also maßgeschneiderte Medizin wird dieses Konzept genannt, womit eine schonendere, effizientere und auch vertretbarere Therapie erzielt werden kann.

Stress und Depressionen – transdiagnostische Aspekte

Menschen denken gerne in „Schubladen“ und dementsprechend fokussieren sich Therapien vielfach auf die Symptome, nicht auf das gesamte Störungsbild.

„Es interessiert eigentlich gar nicht, ob das jetzt eine Depression ist mit einer komorbiden Angststörung oder eine Angststörung mit einer komorbiden Depression. […] Wir sollten longitudinal die Patientinnen und Patienten sehen, biologische Proben entnehmen und dann versuchen zu verstehen, wie dynamisch auch die Biologie sich eigentlich ausprägt und nicht nur klassifizieren: Depressionen ja oder nein“, hält Karabatsiakis fest.

Die Wahrscheinlichkeit, mit einer ersten depressiven Episode eine zweite zu bekommen, liegt bei 50 Prozent. Für eine darauffolgende dritte depressive Episode gar bei 90 Prozent! Bei der Depression spricht man deshalb von einer unipolaren Störung. Das heißt das normale Funktionsniveau pendelt immer Richtung Depression aus.

Stress kann dabei möglicherweise eine beschleunigte Alterung unseres Köpers auslösen. Psychische Belastungen führen zu einer Resonanz im Körper, kann also biologische Veränderungen im Körper auslösen. Ob aus dieser Belastung aber eine Erkrankung wird, hängt viel von individuellen Faktoren ab. Es liegt an uns, diese Belastungen zu erkennen und diese entsprechend abzudämpfen. Je mehr sich diese Belastungen anhäufen, desto wahrscheinlicher ist es, eine psychische Erkrankung zu erleiden. Laut Karabatsiakis sind es aber nicht nur individuelle Faktoren:

„Wenn wir an psychische Belastungen und psychiatrische Komplikationen denken, dann fokussieren wir uns immer auf die Ebene des Individuums. Wir sehen aber selten das Individuum in seiner Gruppe oder seinem sozialen Umfeld.“

Eine Pandemie oder ein Krieg als Beispiele können Stress in der Gesellschaft hervorrufen, welche sich auf die schwächsten Mitglieder (Alte, Kranke und Kinder) kanalisiert und dadurch am stärksten auswirkt. Um dem entgegenzuwirken, ist es wichtig, mehr auf vorausschauende und vorbeugende Maßnahmen zu setzen und nicht erst im Nachhinein die Probleme anzugehen.

Vergangenheit und Zukunft

In der Antike entwickelte sich die Humoralpathologie, besser bekannt unter der Vier-Säftelehre. Es wurde davon ausgegangen, dass das Zusammenspiel der vier Säfte im Körper (Blut, Gelbgalle, Schwarzgalle und Weißschleim) die Gesundheit und die psychische Verfassung bestimmen. Wichtig war das Gleichgewicht aller Säfte. Deswegen wurden u. a. Aderlässe gemacht, wenn der Verdacht nahelag, der/die Kranke habe „zu viel“ Blut, was die Krankheit verursacht oder begünstigt hatte. Aus heutiger Sicht völliger Humbug. Bei Migräne wurden z. T. Löcher in den Kopf gebohrt, und der Eiter aus der Wunde wurde als Ursache des Kopfschmerzes interpretiert.

Hier kommt es aber zu einer interessanten Beobachtung: Als bedeutsame Biomarker-Kandidaten für die Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) wurden Gallensäuren identifiziert. Gallensäuren haben eine Emulgatorfunktion. Mit ihrer Hilfe können Fette in wässrigen Flüssigkeiten, wie zum Beispiel unserem Blut, transportiert werden.

Durch PTBS kann sich die Zusammensetzung der Gallensäure verändern: „Es muss nicht so sein, dass man in der Antike vielleicht nicht alles richtig verstanden hat, vielleicht sind auch bestimmte Aspekte nur entweder falsch überliefert oder es sind falsche Zusammenhänge gezogen worden. Es hat so einen amüsanten Charakter zu sehen, dass man partiell wieder dahin kommt, wo andere ursprünglich mal angefangen haben“, hält Karabatsiakis schmunzelnd fest.

Der nächste Schritt in der heutigen Forschung hat aber nichts mehr mit der Humoralpathologie zu tun, denn es geht um die Atemgasanalytik. Diese wäre der nächste Schritt, um die komplexe Biochemie der Atemluft zu entschlüsseln. Es finden sich mehrere tausend niedermolekulare organische Verbindungen im Atem. In der Zukunft soll aus der Zusammensetzung dieser Moleküle zurückgeschlossen werden, ob z. B. eine Depression vorliegt. Eventuell könnten in naher Zukunft sogar mehrere psychiatrische Erkrankungen mit einem simplen Atemgastest nachweisbar werden. Mittlerweile war es sogar schon möglich Brust-, Prostata- und Lungenkrebs mit dieser Methode nachzuweisen.

Karabatsiakis dazu: „Also wäre die Frage, wenn ich eine Atemgassignatur finde für Brustkrebs, woher weiß ich, dass in dieser Atemgassignatur nicht partiell die Signatur psychiatrischer Belastungen oder psychiatrischer Erkrankungen mit drinsteckt, wenn Krebserkrankungen häufig auch in Folge einer Stress- oder Traumabelastung auftreten?“

Psychische Erkrankungen auf dem Vormarsch

Psychiatrische Erkrankungen zeigen ein fast exponentielles Wachstum und die Corona-Pandemie hat dies zusätzlich verstärkt. Psychiatrische Erkrankungen zählen somit zu den meisten medizinischen Komplikationen weltweit, wobei davon ausgegangen wird, dass nur zehn Prozent der Betroffenen eine adäquate medizinische Versorgung bekommen.

Karabatsiakis spricht auch den Aspekt Impfreaktionen an. Bisher wurden diese hauptsächlich bei psychisch gesunden Menschen untersucht – wie sieht das aber als Beispiel bei Menschen mit Depressionen aus? Benötigen diese mehr oder weniger Impfungen? Hält der Impfschutz länger oder kürzer? Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen gelten zwar als vulnerable Gruppen, werden bei Risikoevaluationen aber nicht ausreichend berücksichtigt, das zeigt auch die Datenlage aus der Literatur zu dem Thema.

Besonders im Kinder- und Jugendbereich waren die Belastungen durch die Pandemie extrem. Dies führt zwar nicht zwangsläufig zu psychiatrischen Erkrankungen, aber das Belastungsmoment ist da. Um dem intensiver entgegenzutreten, müssten deutlich mehr Ressourcen investiert und präventive Maßnahmen gesetzt werden.

Was tun, wenn man selbst betroffen ist?

Es gibt mehrere Möglichkeiten Informationen und Hilfe zu finden, die erste Anlaufstelle sollte die Hausordination sein. In guter ärztlicher Behandlung können die Symptome erkannt und eine Überweisung ausgestellt werden – diese ist dann die „Tür“ zu weiteren Behandlungen und Hilfe. Jedoch sind Psychotherapieplätze vielfach mit einer gewissen Wartezeit versehen, deswegen ist es wichtig offen, klar und transparent über Belastungen und Beschwerden mit Familie, Freunden und Bekannten zu sprechen.

Hier der Link zu Selbsthilfegruppen: https://www.selbsthilfe-tirol.at Patientenbetreuung und -versorgung der Medizinischen Universität Innsbruck/Tirol Kliniken https://psychiatrie.tirol-kliniken.at/page.cfm?vpath=medizinische-p/patientinnen-information

„Manchmal einfach aus einem einfachen Gespräch heraus mal zu fragen: Wie geht es dir? […] Löst das eine Reflektion aus oder innerer Prozesse? Und wenn ich dich frage, wie geht es dir? Dann weißt du relativ schnell, ob es dir gut oder schlecht geht“, lautet ein Ratschlag des Wissenschaftlers.

Innsbruck als erste Wahl

Wenn Karabatsiakis mit Studierenden spricht, hört er des Öfteren, dass diese nach Innsbruck gekommen sind, da sie woanders keinen Studienplatz bekommen haben: Die Uni Innsbruck quasi als akademischer Notnagel. Er versucht dem aktiv entgegenzuwirken und einen Forschungsschwerpunkt zu etablieren, damit zukünftige Studierende sich bewusst für den Forschungsstandort Innsbruck entscheiden.

Das Forschungszentrum Gesundheit und Prävention über die Lebensspanne in Innsbruck soll dabei helfen. Denn „Gesundheit und Prävention über die Lebensspanne ist halt ein wichtiger Aspekt. Wir alle wollen zwar alle alt werden, aber keiner will alt sein“, fasst der Forscher das Ziel zusammen.

Vielfach wird ein „Jugendwahn“ propagiert – sei jung, agil, frisch! Dies sollte aber umgedacht werden, denn es ist ein Privileg, altern zu dürfen!

Link zur Homepage:
https://www.uibk.ac.at/psychologie/mitarbeiter/karabatsiakis/index.html.de

LinkedIn Profil
https://www.linkedin.com/in/alexander-karabatsiakis-44923787/?originalSubdomain=at

ResearchGate Profil:
https://www.researchgate.net/profile/Alexander-Karabatsiakis

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