Freitag, März 29

Menschenrechte – universell, unveräußerlich, unteilbar?

von Vanessa Holer
Lesedauer: 5 – 6 min.

In ihrer Forschung zum absoluten Folterverbot beschäftigt sich Frau Professor Marie-Luisa Frick vom Institut für Philosophie täglich mit Menschenrechten. Wir haben uns gefragt, wie es generell mit den Menschenrechten aussieht. Welchen Status haben sie? Sind die änderbar? Kann man über Menschenrechte diskutieren?

„Natürlich kann man über Menschenrechte diskutieren und die Philosophie tut das auch. Je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto klarer ist mir geworden, dass Menschenrechte sehr komplex sind. Mit Menschenrechten sind ebenfalls vage Vorstellungen über Gerechtigkeit und guter Politik verbunden“, erläutert Prof. Frick. „In Zusammenhang damit müssen wir uns auch folgende Fragen stellen: Welche Gründe haben wir, uns ein Recht zu wünschen? Warum wollen wir ein anderes Recht beschneiden? Wie wägen wir ein Recht im Kontext anderer Rechte ab?“

Was sind Menschenrechte?

Die ethische Sichtweise sagt, dass Menschenrechte Ansprüche seien, die jeder Mensch haben sollte, weil er ein Mensch ist. Das Menschsein reicht, um Menschenrechte zu haben. Es gibt die Menschenrechte als garantierte Grundrechte, die der Staat nicht nur seinen Bürger*innen, sondern allen Menschen auf seinem Territorium einzuhalten verspricht. Diese Normen gilt es zu begründen und zu hinterfragen. Warum hat der Mensch als Mensch bestimmte Ansprüche? „Meine Sichtweise ist, dass wir Menschenrechte zuweisen. Wir haben sie nicht von Geburt an, wie beispielsweise unsere Haarfarbe oder unsere Körperteile. Sie werden gesellschaftlich erzeugt und in ihren einzelnen Bedeutungsansprüchen umkämpft“, argumentiert die Philosophin. „Die spannende Frage ist ja, warum Menschen Menschenrechte verdienen. Sehr schnell greift man dann auf die Idee der Menschenwürde zurück. Diese Idee der Menschenwürde muss nicht mit religiösen Auffassungen einhergehen, sondern kann genauso säkular gedacht werden.“

Menschenrechte – ein riesiges Feld an Forschungsfragen

Wo gelten Menschenrechte? In welchem Umfang gelten sie? Wo gelten menschenrechtliche Verträge der UNO? Wie sieht es mit Menschenrechten in verschiedenen Gesellschaften aus? Wie werden sie in den unterschiedlichen Gesellschaften verankert und gelebt? Welche Werte gibt es in einer Gesellschaft, die einen Unterschied machen? Welche kulturellen und religiösen Auffassungen haben einen Einfluss darauf, wie Menschenrechte gedacht werden?

Ein Beispiel: The Ticking Bomb Scenario

Im Zuge des Krieges gegen den Terror wurde in einigen Ländern die Debatte darüber geführt, ob das Recht auf Freiheit von Folter nicht hinterfragt werden sollte. Dazu wurde das folgende Beispiel zur Hand genommen: Es wurde ein Terrorist festgenommen, der weiß, wo genau eine Bombe versteckt worden ist. Darf man ihn foltern, um den Standort jener Bombe zu erfragen und somit den Tod von vielen Zivilisten zu vermeiden?

Hierbei stellt sich die Frage, ob es Menschenrechte geben kann, die keine Ausnahmen haben und nicht gegen andere Rechte, wie das Recht auf Leben, abgewogen werden können.

Hierarchie der Menschenrechte?

Stehen alle Menschenrechte auf einer Ebene? Darf man gewisse Menschenrechte vor andere stellen? „Dahinter steht eine gute Intention. Während des Kalten Krieges wollte man verhindern, dass sich Staaten ihre Menschenrechte herauspicken und andere Menschenrechte, die ihnen nicht passen, einfach beiseiteschieben. Aber ich glaube wir kommen um diese wirklich heiße Frage nicht herum. Gibt es Menschenrechte, die wichtiger sind als andere?“, überlegt Prof. Frick.

Welche Rechte gehen vor? Wo sind wichtigere Güter, die geschützt werden müssen? Dafür hat die Philosophin den folgenden Ansatz: „Ich vertrete in meiner Arbeit die Position, dass wir uns trauen müssen, gewisse Wertentscheidungen zu treffen. Das Recht auf Leben ist aus meiner Sicht zweifelsfrei grundlegender als viele andere Menschenrechte. Auch wenn alle Menschenrechte wichtig sind und nicht relativiert werden dürfen, so gibt es doch welche, die nachrangig sind.“

Zukunft der Menschenrechte

Die Zukunft der Menschenrechte ist ungewiss. Was allerdings feststeht, ist, dass sie weiterhin ein wichtiges Forschungsgebiet und ein politischer Kampfbegriff sein werden. Optimistisch gesehen, könnten gewisse Sensibilitäten bei der Umsetzung der theoretischen Ansprüche wachsen. Die Veränderung, die etwa durch soziale Bewegungen entsteht, dürfe nicht unkritisch betrachtet werden, sondern müssen stets auch hinterfragt werden. In der öffentlichen Debatte liegt ein großes Potential.

Auf der anderen Seite gibt es in großen Teilen der Welt harte Widerstände gegen Menschenrechte. Diese werden ebenso nicht verschwinden, vermutet Frick. Gerade was die Freiheitsrechte betrifft, wie Religionsfreiheit oder Meinungsfreiheit, gibt es in Zukunft noch viel Aufholbedarf. Ebenso sollte der Versuch unternommen werden, das westliche Menschenrechtsverständnis global gestärkt wird. Hier sieht Prof. Frick vor allem bei der Europäischen Union Handlungsbedarf: „Die Europäische Union hätte in den letzten Jahrzehnten viel stärker auf eine kulturelle Verbreitung hinarbeiten müssen. Wieso hat die EU keine eigenen europäischen Kulturzentren, in denen Menschen nicht nur Sprachen lernen können und die Geschichte Europas nähergebracht bekommen, sondern auch mit „europäischen Werten“, den Menschenrechten, sozialisiert werden? Man sollte in gewissen Ländern, die sich von unserem Menschenrechtsverständnis abgrenzen wollen, stärker um die Köpfe der Menschen kämpfen. Ich würde mir wünschen, dass man selbstbewusster mit den Angeboten umgeht, die man hat. Es müssen nicht alle Menschen so denken, wie wir. Aber sie sollten das Angebot haben, vom Westen mehr bekommen zu können als nur Klischees. Das funktioniert natürlich nur, wenn man seine eigenen Werte auch glaubhaft lebt.“

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