Donnerstag, April 25

Wie erste völkerrechtliche und cyberrechtliche Einschätzungen zur Situation in der Ukraine aussehen – Teil 2

von Vanessa Holer
Lesedauer: 5-6 min

Fluchtrouten aus Mariupol trotz Feuerpause unter russischem Beschuss, Import-Stopp von Öl und Gas aus Russland, mehr als zwei Millionen Menschen auf der Flucht. Dank Smartphones, Technologie und Co. gelangen Neuigkeiten vom Russland-Ukraine-Krieg nach Österreich, und das in Echtzeit. In diesem Feld arbeitet Prof. Dr. Matthias C. Kettemann, der sich am Institut für Theorie und Zukunft des Rechts der Uni Innsbruck vor allem mit Internetrecht und Kommunikation beschäftigt. Daher weiß er: „In der Tat liegt in der Ukraine jetzt einen Krieg vor, der eine sehr bedeutende mediale Dimension aufweist und dies aus mehreren Gründen.“

Die Ukraine als hochtechnisiertes Land, in dem fast alle Menschen ein Smartphone besitzen. Diese Technisierung wirkt sich aber auch auf den Informationsaustausch aus, weiß der Rechtsprofessor: „Sie können auf eine ganz andere Art und Weise kommunizieren. Die ukrainische Führung hat auf eine sehr erfolgreiche Weise das Internet verwendet, um die Welt darauf aufmerksam zu machen, was in der Ukraine vorfällt.“ Dabei würden die wirkmächtigsten Narrative direkt von ukrainischen Quellen stammen. Mit Zitaten, die wohl in die Geschichtsbücher eingehen werden. „Von dem Snake Island Vorfall bis hin zu Zitaten von Selenskyj, wie etwa „I Need Ammunition, Not a Ride“ – das sind Narrative, die ihren Nachhall finden. Das sind Narrative, die wichtig und bedeutend sind und die aus diesem Krieg einen ganz besonderen machen. Viele junge Menschen erleben einen solchen Krieg und dessen Schrecken zum ersten Mal im Westen – das sogar in real time“, erklärt der Universitätsprofessor für Innovation, Theorie und Philosophie des Rechts. „Gleichzeitig führt uns dieser mediatisierte Krieg die mediale Dimension vor Augen: Dass wir uns in einer neuen Kommunikationsordnung befinden, in der die Staaten zwar immer noch mächtig sind, aber ein großer Teil der Online-Kommunikationswelt von privaten Unternehmen beherrscht wird.“ 

Die Accounts russischer Staatsmedien auf TikTok, Facebook, Twitter und Co. blockiert

TikTok hat russische Seiten blockiert, genauso wie die anderen großen Plattformen Facebook und Twitter. „In den sozialen Medien sind in der Zwischenzeit alle russischen Seiten, die russischen Staatsmedien, RT und Sputnik, nicht mehr vorhanden. Die Accounts wurden zuerst noch demonetarisiert und inzwischen ganz rausgeworfen“, geht Professor Kettemann auf die Ereignisse der vergangenen Tage ein. „Auf Telegram findet man zwar noch einzelne russische Staatsmedien. Das ist aber deswegen so, weil Telegram sowohl staatlichem als auch öffentlichen Druck gegenüber sehr zurückhaltend war.“ Allerdings hatte auch der Gründer von Telegram angekündigt, dass er die Situation genau beobachte und im Falle noch nachziehen würde. Laut des Rechtsprofessors sei er „aus historischen Gründen kein großer Fan des Regimes von Putin.“ 

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© Pixabay: Wer in den sozialen Netzwerken auf Accounts von russischen Staatsmedien zugreifen will, bemerkt schnell, dass diese nicht mehr aufrufbar sind.

Internetblockaden schaden hauptsächlich russischen Bürgern und Bürgerinnen

Parallel zu diesem Vorgehen der Plattform selbst komme den sogenannten Gatekeeper eine bedeutende Rolle zu. „Gatekeeper sind Unternehmen, die bestimmte Dienstleistungen für andere Unternehmen zur Verfügung stellen“, klärt Matthias Kettemann auf. „In Österreich hat Beispiel Magenta TV russische Sender aus dem Programm genommen. Ähnliches geschieht nun in Polen und in anderen EU- Mitgliedstaaten. Auch die EU versucht im Rahmen der Sanktionen weitere Maßnahmen gegen den russischen Staatsmedien vorzunehmen.“ Darüber hinaus gäbe es den Versuch der ukrainischen Regierung, ein entsprechendes Ansuchen des Digitalministers Russland durch ICANN sanktionieren zu lassen. ICANN ist die internationale, private Organisation, die für die Verwaltung, unter anderem der Top Level Domains, und der Adress-Räume im Internet zuständig ist. „Die ukrainische Regierung bittet Icon, die russische Top Level Domain zu blockieren und die IP-Adressen zurückzuziehen. Das würde hauptsächlich russischen Bürgern und Bürgerinnen schaden. Russland hat im letzten Jahr sogar eine derartige Situation vorhergesehen und sich deswegen bewusst vom Internet abgekapselt, um dieses Szenario zu trainieren. Dieses Vorgehen ist wohl nicht die effektivste Maßnahme“, erläutert der Universitätsprofessor. Was aber sehr bedeutsam sei, ist die neue Art der Kriegsführung, die auch auf den Online-Plattformen stattfindet. Dabei seien laut dem Rechtstheoretiker die sozialen Medien in einer besonders machtvollen Position: „Die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, wie wir die Aktionen der Plattformen, so sehr wir sie im Einzelfall für verdienstvoll erachten, einschätzen? Sind sie demokratisch legitimiert? Müssen wir hier nicht manchmal einen Schritt zurücktreten, um zu überlegen, wie optimal auf Online-Kommunikationsprozesse eingegangen werden kann?“

Soziale Medien nutzen, um Kriegsverbrechen nachzuweisen

Ein weiterer bedeutsamer Effekt: Die Nutzung von sozialen Medien kann auch zur Sammlung von Beweisen von Kriegsverbrechen verwendet werden. „Vor kurzem erschien ein Manual von der University von Berkeley zur Nutzung von sozialen Medien, um Beweise von Kriegsverbrechen zusammenzutragen. Dieses Vorgehen sieht man jetzt schon auf einigen Internet-Seiten wie etwa War on the Rocks, wo entsprechendes Material gesammelt wird“, schildert der Rechtsforscher die derzeitigen Entwicklungen. „Analyse-Portale sind sehr hilfreich dabei, entsprechende Unterlagen zusammenzusammeln. Das wird bei der rechtlichen Aufarbeitung des Krieges eine große Rolle spielen.“ 

Unmittelbarkeit in Berichterstattung – schlimmste Phase des Krieges steht erst bevor

Die Cyber-Dimension des Russland-Ukraine-Krieges zeichne sich durch eine Unmittelbarkeit aus, die so bisher noch nie stattgefunden hat. Professor Kettemann stellt klar: „Der Krieg kann mit dem Handy und auf den Computersystemen der Menschen mitverfolgt werden. Deswegen müssen wir uns alle fragen, was dieser Krieg mit uns macht.“ Dabei sei es wichtig, auf sich selbst zu achten und Self Care zu betreiben. Also auch einfach mal das Handy auszuschalten. Gleichzeitig dürfe man die Leiden der ukrainischen Zivilbevölkerung natürlich nicht vergessen oder verdrängen. Der Rechtsexperte hat den Verdacht, dass der Westen durch den starken Konsum von sozialen Medien ein zu rosiges Bild von der Situation in der Ukraine hat: „Viele Kriegsanalysten sind der Meinung, dass die schlimmste Phase des Krieges erst bevorsteht. Das müssen wir im Hinterkopf behalten!“ 

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