Freitag, März 29

Philosophieren: Arbeit? Beruf? Oder beides? 4 Fragen – 4 Antworten

von Eva Hupfer
Lesedauer: ca. 4 Minuten

Eva Hupfer und Tobias Jakober im Gespräch für Makademia mit Mag. Dr. Sergej Seitz, MA – Universitätsassistent am Institut für Philosophie, über den Beruf und die Arbeit als Philosoph*in.

Makademia: Würden Sie sich selbst als Philosophen bezeichnen?

Sergeij Seitz: Natürlich kann ich mich als Philosophen bezeichnen. Das ist, was ich tue: Ich gehe hier an der Universität philosophischen Fragen nach, befasse mich mit philosophischen Problemen, die auch in der Lehre, im Unterricht in Auseinandersetzung mit den Studierenden erörtere und im Licht der Öffentlichkeit vertrete. Im Alltag, außerhalb der Uni, zögere ich aber interessanterweise immer wieder, mich als Philosophen vorzustellen. Wenn mich jemand fragt: „Was machst du beruflich?“, dann wirkt es auf mich oft gewissermaßen unbescheiden zu sagen „Ich bin Philosoph.“ Ich umschreibe dann manchmal eher und sage „Ich arbeite an der Universität, in der Philosophie“. Denn mit dem Bild des Philosophen geht immer auch eine Geste der Berufung einher, ein Ideal von Weisheit, Gelehrsamkeit und Einsicht, was für das Gegenüber mitunter auch etwas Abschreckendes haben kann.
Es gibt im Übrigen viele große Philosophinnen und Philosophen, die der Bezeichnung Philosoph*in aus weitaus tieferen Gründen zwiespältig gegenüber gestanden sind. Denker*innen Hannah Arendt oder Michel Foucault sind dafür bekannt, dass sie ihr Denken in einer ambivalenten Distanz zu dem Begriff der Philosophie entfaltet haben. Man kann hier natürlich auch an Martin Heidegger denken, einen der wichtigsten und zugleich problematischsten Protagonist*innen in der Philosophie des 20. Jahrhunderts, der mit seinem Denken zugleich über das hinauswollte, was er als das klassische Verständnis der Philosophie und des Philosophierens begreift.  

Makademia: Von anderen Seiten gibt es immer wieder die Behauptung, die Philosophie sei eigentlich keine Wissenschaft in diesem Sinne. Sie produziert ja immer auch nur neue Fragen, anstatt welche zu beantworten. Wie sehen Sie das?

Seitz: In einer Hinsicht produziert die Philosophie natürlich in erster Linie Fragen. Aber man kann Ihre Frage unterschiedlich beantworten. Was wäre ein Kriterium für Fortschritt in der Philosophie? Wenn man sagt, dass das Kriterium für Fortschritt darin bestehen muss, bestimmte Probleme ein für alle Mal zu lösen, dann schneidet die Philosophie wohl schlecht ab, wenn man sich ihre geschichtliche Entwicklung vor Augen führt. Man könnte aber auch sagen, dass die Philosophie darin fortschreiten kann, Probleme auf einem bestimmten Niveau der Reflexion zu verhandeln. So gesehen zeigt sich, dass wir in der Philosophie in Bezug auf eine bestimmte Frage oder ein bestimmtes Problem hinter ein gewisses Reflexionsniveau, das uns von der Geschichte und den gegenwärtigen Auseinandersetzungen sozusagen übereignet ist, nicht mehr zurückkönnen.
Kant zum Beispiel hat die Fragen der Erkenntnistheorie wohl nicht endgültig gelöst, aber er hat – neben vielen anderen – dazu beigetragen, uns ein Level an Komplexität und Problembewusstsein vorzugeben. Sich nicht vor dieser Komplexität zu verschließen und sie immer wieder bewusst zu machen und durchzuarbeiten, ist aus meiner Sicht eine Leistung und ein Anspruch der Philosophie, was sie zugleich für andere Wissenschaften zur fruchtbaren Dialogpartnerin macht. Wenn wir etwa an die Wissenschaftstheorie als Teilgebiet der Philosophie denken, dann gibt sie nicht zuletzt ein Reflexionsniveau vor, auf dem wir  philosophische und wissenschaftliche Probleme wie auch Probleme der Methodik und der Forschung in anderen Wissenschaftsgebieten angehen müssen. Insofern wäre die Philosophie immer auch so etwas wie ein Reflexionsort, was Fragen der Methode und des Selbstverständnisses von Wissenschaft angeht, aber auch Fragen nach der Tragweite, dem Sinn und der Bedeutung von Wissenschaft überhaupt.
Darüber hinaus hat die Philosophie natürlich eine gesellschaftliche Funktion, eine politische Funktion, die sich nicht einfach an ökonomischen Erfolgskriterien bemessen lassen im Sinne von: Wie gut hat die Philosophie dieses oder jenes Problem gelöst? So besteht im Bezug auf ihre gesellschaftliche und politische Verantwortung ein wesentliches Motiv gerade darin, eingespielte Selbstverständlichkeiten aufzubrechen, zu hinterfragen und damit gewisse Dinge – gesellschaftliche Verhältnisse, Haltungen und Routinen – überhaupt erst hinterfragbar und kritisierbar zu machen. Von Anfang an ist die Idee der Philosophie mit der Idee der Kritik verbunden. Eine Gesellschaft, die sich Philosophie und Philosoph*innen gibt, gibt sich eine kritische Wissenschaft, in der es immer auch darum gehen muss, uns als Gesellschaft über bestimmte Verhältnisse, Entwicklungen und Tendenzen einen Spiegel vorzuhalten und damit auch zu verunsichern.

Makademia: Wie kann man sich denn Ihren Arbeitsalltag vorstellen? Jetzt durch die Pandemie war ja bei allen alles anders. Wie kann man sich Ihre Arbeitssituation vorstellen?

Seitz: Ja, vor Corona war einiges anders, was den Arbeitsalltag betrifft. Heute spielt sich vieles im Homeoffice ab. Vor Corona war ein typischer Arbeitstag für mich so: Ich stehe in der Früh auf, verrichte die Reproduktionstätigkeiten und gehe dann an die Uni, ins Büro. Und dann arbeite ich: Ich lese, schreibe oder exzerpiere, ich mache Notizen, Skizzen, Entwürfe zu dem Thema, an dem ich gerade arbeite. Oder ich habe Fachgespräche mit Kolleg*innen, vielleicht eine Diskussion, einen Lesezirkel, Austausch über ein neues Paper, einen neuen Aufsatz. Man liest einen Text Korrektur oder man liest Texte anderer Korrektur. Man gibt sich gegenseitig Feedback auf die Arbeiten. Oder es gibt eine Tagung, eine Konferenz oder ein Symposium, auf dem Forschungsarbeiten präsentiert und zur Diskussion gestellt werden. Dann natürlich die Lehre, ein ganz wichtiger Teil unseres Berufs. Die meisten, die in der Philosophie oder in der Wissenschaft an der Uni tätig sind, haben Lehraufgaben.
Klassischerweise sind an einer Universität Forschung und Lehre miteinander intrinsisch verbunden. Das bringt eigene Herausforderungen mit sich: Einerseits den Lehralltag und den Forschungsalltag zu verknüpfen, andererseits werden durch diese Doppelgleisigkeit auch verschiedene Talente gefordert. Max Weber hat diesen schönen Aufsatz geschrieben: „Wissenschaft als Beruf“. Dort sagt er unter anderem, dass man, wenn man die Wissenschaft als Beruf ergreift, sowohl als Gelehrter als auch als Lehrer gut sein muss. Das ist aber alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Die besten Gelehrten können die schlechtesten Lehrer sein und umgekehrt. Im Hinblick auf den Arbeitsalltag gilt es zudem, das entsprechend einzugliedern, Lehre und Forschung zu verquicken, die Seminare so zu konzipieren, dass sie sich gut in die eigene Forschung fügen und sie gleichzeitig auch didaktisch ansprechend zu gestalten. Daneben gibt es auch viele Aspekte der beruflichen Tätigkeit, die nicht unmittelbar kreativ zu verstehen sind. Man hat auch eine Organisationstätigkeit. Die Universität ist eine Institution, die auch verwaltet sein will. Das heißt, dass man in bestimmten Kommissionen sitzt, an Gremien teilnimmt, ein bestimmtes Projekt betreut, Büroaufgaben erledigt, eben bestimmte Verwaltungsaufgaben übernimmt, all das.

Makademia: Einerseits extrem vielseitig, was verlangt wird und andererseits extrem vielseitig, was man selbst erfährt. Dadurch umso attraktiver, dieser Beruf. Das klingt eigentlich nach einem Traumjob: Lesen, exzerpieren, Notizen machen, Fachgespräche führen und Schreibent.

Seitz: Als Sie mir beschrieben haben, in welche Richtung das Gespräch gehen soll, haben Sie gesagt, es soll um den Beruf Philosoph*in beziehungsweise um das wissenschaftliches Arbeiten als Philosoph*in gehen. Mit diesen beiden Titeln gehen schon unterschiedliche Ausrichtungen einher. Einerseits der Begriff des Berufs, andererseits der des Arbeitens. Da schwingen schon ganz unterschiedliche Beschreibungen dessen mit, was man als Philosoph*in oder als Wissenschaftler*in tut. Wenn man vom Beruf her denkt, also von der Profession, dann ist da auch der Gedanke der Berufung enthalten. Im der Begriff des Professoren steckt eben diese profess, das Bekenntnis, eine religiöse Konnotation. Man könnte sagen, dieser Begriff impliziert schon, dass man für den Beruf brennt, dass man ohnehin andauernd nichts anderes tun will als zu arbeiten, dass einem auch egal ist, ob man dabei entsprechend bezahlt wird oder ob man dafür Anerkennung findet, dass man auch Nachteile in Kauf nimmt. Das wäre die emphatische Idee des Berufs als Berufung: Man ist unmittelbar identisch mit der Tätigkeit, die man vollführt, es gibt keine Distanz zwischen einem selber und dieser Tätigkeit. Wenn man es so versteht, nähert man die philosophische Tätigkeit klassischen Tätigkeiten des Künstlers oder des religiösen Menschen, aber auch des von seinem Forschergeist getrieben Wissenschaftlers an. Damit einher geht die Vorstellung, dass für diese Tätigkeit das Leiden nicht nur dazugehört, sondern auch irgendwie wichtig ist. Denken Sie an den „armen Künstler“, an dieses existenzielle Leiden, diese Herausforderung, die dem klassischen Stereotyp zufolge wichtig ist, damit diese Person dann gute Kunst schaffen kann. Oder denken Sie an den Mann der Religion, der am Schweigen Gottes leidet. Wir haben in diesem Verständnis von Beruf als Berufung ein Ideal der willentlichen Verausgabung. Man verausgabt sich, weil man so sehr in die Sache versenkt ist, dass einem selbst das größte Leid nichts anhaben kann, sondern nur dazu anstachelt, weiterzumachen.
Was dem in gewissem Maß entgegensteht, ist das Verständnis von Wissenschaft als „Arbeit“. Also arbeiten als Philosoph. Das ist ganz etwas anderes. Wenn man sagt, man betreibt die Philosophie oder Wissenschaft als Arbeit, dann gibt man damit zu, dass das etwas ist, das auch Anstrengung und Ressourcen kostet, dass das etwas ist, das Kraft braucht, Sitzfleisch und Beharrlichkeit, und dass das oft auch etwas ganz Profanes ist. Man gibt damit zu, dass es sich selbst beim Beruf der Philosophie um etwas handelt, das einen Alltag hat, das manchmal unkreativ oder langweilig oder repetitiv sein darf. Insofern finde ich davon zu sprechen, dass man Wissensarbeiter ist, auch als durchaus befreiend im Gegensatz zu diesem Ideal der Berufung, das manchmal etwas überfordernd wirkt. Ich mag diesen Begriff des Wissensarbeiters, mit dem deutlich wird, dass nicht alles eitle Wonne ist, und dass man auch auf sich selbst achtgeben muss und sich eben nicht völlig verausgabt – eine Gefahr, die in der Wissenschaft als Konkurrenzbetrieb immer gegeben ist.

Mag. Dr. Sergej Seitz, MA
Quelle: Academia UIBK

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