Donnerstag, April 18

Ein steiniger Weg – Straßennamen und Erinnerungskultur

von Simon Schöpf
Lesezeit: ca. 5 Min.

Philippine-Welser-Straße, Ingenieur-Thommen-Straße, Ampfererstraße, Wilhelm-Greil-Straße, Maria-Theresien-Straße – In Innsbruck wurden, wie in vielen europäische Städten, Straßen nach „berühmten“ Persönlichkeiten benannt. Eine dieser Persönlichkeiten war der Mediziner Burghard Breitner (1884–1956). Im Rahmen des Universitätsjubiläums fanden die Historiker*innen Ina Friedmann und Dirk Rupnow heraus, dass der sogenannte „Engel von Sibirien“ in nationalsozialistische Medizinverbrechen involviert war. Aus den neuen Erkenntnissen entstand in Kooperation mit der Medizinischen Universität und der Stadt Innsbruck eine Ringvorlesung, die im Wintersemester 2021/2022 stattfindet. Wir haben uns mit Dirk Rupnow getroffen, um ihn zum Thema Straßennamen und über die Benennung bzw. Umbenennung von Straßennamen und der Sichtbarkeit von Geschichte im öffentlichen Raum zu interviewen.

Umgang mit „problematischen“ Straßennamen

Mit der Ausnahme von Flurnamen, ist die Benennung einer Straße oder eines Platzes meistens eine öffentliche Ehrung einer bestimmten Person. In Innsbruck finden sich bei fast allen Straßennamen kurze Informationstexte zu diesen Persönlichkeiten. Im Zuge der Neugestaltung der Schilder im Jahr 2008 wurde bei Personen, die eine Verbindung u.a. zum  Nationalsozialismus aufwiesen, eine Zusatztafel angebracht, um auf diesen Zusammenhang hinzuweisen. Eine Politik der Umbenennung von Straßennamen verfolgte und verfolgt die Stadt Innsbruck hierbei nicht. Berlin und Wien hingegen änderten problematische Straßennamen wie die „Mohrenstraße“ oder den „Dr. Karl-Lueger-Ring“, die nun Anton-Wilhelm-Amo-Straße bzw. Universitätsring heißen. In der Vergangenheit wurden auch in Innsbruck immer wieder Straßen/Plätze umbenannt, wie z.B. der „Adolf-Hitler-Platz“, der am heutigen Rennweg vor dem Haus der Musik lag. Eine Umbenennung oder das Beharren auf einen bestimmten Namen ist also eine politische Entscheidung, die sich verändern kann. Dabei kommt auch immer wieder der Vorwurf der „Cancel Culture“ ins Spiel. Im Fall von Straßennamen wird argumentiert, dass die Geschichte unsichtbar gemacht werde – ein schwaches Argument, da Geschichte und Erinnerungen nicht nur anhand der Straßennamen festgehalten werden. Dirk Rupnow hält dazu fest:

„Eine Straßenbenennung oder eine Denkmalsetzung ist eine Ehrenbezeugung und das muss unsere Gesellschaft für sich entscheiden: Sind diese Bezeichnungen aufrechtzuerhalten oder nicht? Es gibt und gab immer Phasen in der Geschichte, in denen Straßen und Plätze umbenannt wurden – warum sollte das nicht heute auch getan werden, wenn wir zu dem Schluss kommen, dass diese Person eben nicht mehr ehrungswürdig im öffentlichen Raum ist.“

Interessant ist auch die öffentliche Wahrnehmung der Straßennamen und der angebrachten Schilder. Im alltäglichen Gebrauch verwenden Innsbrucker*innen die Bezeichnung „Landhausplatz“, obwohl dieser eigentlich „Eduard-Wallnöfer-Platz“ heißt, oder die „Franz-Gschnitzer-Promenade“, die den meisten als „Innpromenade“, „Platz hinter der Geiwi“ oder als „Sonnendeck“ bekannt ist. Die angebrachten Zusatzinformationen werden von den meisten nicht gelesen – wusstet ihr, dass die Ampfererstraße nach Otto Ampferer benannt wurde, einem Pionier der Plattentektonik?

Hierbei wäre auch eine Diskussion über die Straßennamen angebracht, die nach Habsburgern benannt wurden. Mit der Gründung der Republik wurden die Habsburger aus dem Land verbannt, jedoch blieben die meisten Straßenbenennungen intakt.

Weibliche Straßennamen

In Seestadt-Aspern, einem neu errichteten Stadtteil von Wien, wurden so gut wie alle Straßen und Plätze nach Frauen benannt. Hier gibt es z.B. die Janis-Joplin-Promenade, oder den Hannah-Arendt-Platz. Hier wurde also der Trend umgekehrt, Straßen nach „berühmten“ Männern zu benennen. Kann dies nun als wegweisend betrachtet werden? Macht dies Frauen „sichtbarer“ im alltäglichen Straßenbild? Aus einer feministischen Sichtweise ist dies absolut zukunftsweisend, Frauennamen hier zu bevorzugen, um die Gleichberechtigung voranzutreiben. Andererseits ist Seestadt-Aspern am Stadtrand und im Zentrum der Stadt bleiben die Männernamen nach wie vor im Vordergrund. Auch in Innsbruck hat sich die Politik darauf verständigt neue Straßen und Plätze nach Frauen zu benennen. So wurde 2016 in der Roßau ein neu angelegter Platz Helga-Krismer-Platz genannt. Um u.a. auf die wenigen weiblichen Straßennamen hinzuweisen wurden in Innsbruck zwei Plätze durch „Guerillakünstler*innen“ umbenannt, der Adolf-Pichler-Platz und der Platz vor dem Landestheater. In Innsbruck gestaltet sich, im Gegensatz zu Wien, die Benennung von neuen Straßen schwieriger, da es im Stadtgebiet kaum neue gibt und sie eine knappe Ressource sind.

Inoffizielle Umgestaltung des „Ehrenmals“ vor der Hauptuni ©Simon Schöpf

Die Geschichte mit dem Adler

Im Zuge der „Black-Live-Matters“ Bewegung im Jahr 2020 wurde in Bristol die Statue von Edward Colston, einem englischen Unternehmer, Politiker aber auch Sklavenhändler, ins Meer geworfen. Die Statue wurde über 170 Jahre nach seinem Tod im 19. Jhd. errichtet, um Colstons philanthropischen Tätigkeiten in Bristol zu gedenken. Nach dem Versenken im Meer wurde diskutiert, wie mit dieser Statue weiter umgegangen werden soll. Es wurde, ohne Zustimmung der Politik, eine Statue der weiblichen Demonstrantin Jen Ried dort aufgestellt, die jedoch gleich wieder entfernt wurde. Eine weitere Idee war es die Originalstatue in einem Wassertank in einem Museum auszustellen, um u.a. an die Proteste zu erinnern. Die Diskussion mit dem Umgang der Statue ist im November 2021 noch nicht geklärt. Anders das „Universitäts-Ehrenmal“ in Innsbruck. Das „Ehrenmal“ wurde 1926 errichtet, um den Gefallenen Uni-Angehörigen des Ersten Weltkriegs und den „Verlust“ Südtirols zu gedenken. Spätestens bei der festlichen Einweihung des Adlers kam die deutschnationale Gesinnung und Symbolik zum Vorschein:

„[F]ür Deutschlands Größe, Österreichs Ehre und die Einheit Tirols sind sie in den Kampf gezogen. Im Anblick des Adlers wollen wir uns der Kraft und Stärke unseres Volkstums getrösten und gläubig sprechen: Deutschland, Dein Reich komme!“


Zitat Prorektor Rittler

Im Rahmen des Uni-Jubiläums im Jahr 2019 wurde der Adler vor der Hauptuni umgestaltet. Auch hier gab es Diskussionen, ob dieses Denkmal entfernt werden oder zumindest kommentiert werden sollte. Schlussendlich wurde entschieden eine künstlerische Intervention sei der richtige Umgang mit dem Adler. Und die Hinzufügung einer erklärenden Tafel. Wie ästhetisch ansprechend die Umgestaltung wahrgenommen wird, liegt im Auge des jeweiligen Betrachters/der jeweiligen Betrachterin. Jedoch war es ein Anstoß über dieses Denkmal zu diskutieren und wie mit aufgeladenen Symbolen im öffentlichen Raum umgegangen werden soll. Dabei muss aber berücksichtig werden, dass die Intervention nicht dazu führt das Denkmal noch monumentaler erscheinen zu lassen. Dirk Rupnow hält abschließend fest:

„Das sind Aushandlungsprozesse, eine von verschiedenen Möglichkeiten, Interventionen oder Kommentare jenseits einfacher Erklärungstafeln, die man natürlich immer machen kann. Hier kann auch gefragt werden, was die eigentlich genau bewirken. Meistens sind diese kleinen Tafeln ‚hilflos‘ im Vergleich zu den Objekten, um die es geht. […] Es ist auf jeden Fall ein Statement und eine Intervention in das Bestehende hinein, das ein bisschen Unordnung mit sich bringt. Das ist ja die Funktion davon, einen neuen Blick darauf zu werfen. Wenn man zu dem Schluss kommt, dass man ein Denkmal abreißen will, warum soll man das nicht tun? Warum müssen wir uns binden, auf alle Zeit, an einem Verständnis wie Platz im öffentlichen Raum verteilt wird und das für völlig sakrosankt erklären? […] Dass wir einen Zustand aus einer bestimmten Zeit festschreiben und uns heutzutage damit auch jeglicher Handlungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum berauben. Insgesamt sind es Aushandlungsprozesse in der Gesellschaft und es wird auf unterschiedliche Art damit umgegangen. Es gibt Leute, die das Beschmieren und damit ein Statement setzen und dann gibt es die Stadt oder das Denkmalamt, die das eben wieder reinigen muss. […] Das ist eine Ausgangsbasis, das ist alles Teil dieser Geschichte und Auseinandersetzung darum und das ist in diesem Sinne auch nicht fertig. Wer weiß, ob das so bleibt, oder wie lange das bleibt? Das sind immer Dinge, die im Fluss sind.“

Weiterführende Links:

YouTube Channel des Instituts für Zeitgeschichte:
https://www.youtube.com/channel/UCJBt4J3x_z4tWlYpjftQwhw

Publikationen von Dirk Rupnow auf Researchgate:
https://www.researchgate.net/profile/Dirk-Rupnow

Homepage des Instituts für Zeitgeschichte:
https://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/

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