Freitag, April 26

Wohnen und Gewalt: Eine sozialphilosophische Forschungsnotiz

von Simon Schöpf
Lesezeit: ca. 5 Minuten

Habt ihr euch schon einmal gefragt, warum einige Temperatur-Hotspots in Innsbruck, wie z.B. der Sparkassenplatz, der Landhausplatz (Eduard-Wallnöfer-Platz) oder der GeiWi-Vorplatz zubetoniert wurden und es darauf kaum begrünte Flächen gibt? Und was haben das antike und das moderne Griechenland damit zu tun? Wir haben dazu Michaela Bstieler vom Institut für Philosophie interviewt und werden euch ihr spannendes Dissertationsprojekt kurz präsentieren, in welchem sie Philosophie, Geographie und Architekturtheorie miteinander verknüpft.

Wohnen und Gewalt früher und heute

Michaela Bstieler arbeitet im Bereich der Praktischen Philosophie und verhandelt in ihrer Dissertation das Verhältnis von Wohnen und Gewalt. Um uns dieses Thema näherzubringen, hat sie uns je ein Beispiel aus dem antiken und dem modernen Griechenland beschrieben und erklärt. Wie auch die politische Denkerin Hannah Arendt thematisiert, wurde im antiken Denken der Haushalt (Oikos) und das „öffentliche Leben“ (Polis) unterschieden. Im Oikos fand die „Reproduktionsarbeit“ statt, ein Ort, an dem das Leben von den Lebensnotwendigkeiten gesteuert war. Ein gut funktionierender Oikos war die Voraussetzung dafür, dass der Mann des Hauses sich aktiv und politisch in der Öffentlichkeit – der Polis – beteiligen kann. Dort gibt es ein „freies Leben“, das den Menschen im Oikos (Frauen, Sklaven etc.) nicht vorbehalten ist. Im Gegenteil, für die Freiheit der Polis werden sogar Zwang und Gewalt im Oikos gerechtfertigt. Diese Spaltung zeigt beispielhaft auf, dass nicht allen gleichermaßen die Möglichkeit zukommt, sich aktiv – d.h. frei und politisch – am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen.

Das zweite Beispiel kommt aus dem modernen Griechenland und betrifft das Flüchtlingslager Moria. Michaela Bstieler dazu: Aber auch die Spannung zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit könnte sich eignen, um Momente der Gewalt, die dem Wohnen eingeschrieben sind, auf die Spur zu kommen.“ Dazu zitierte sie Martin Heidegger, welcher das „Wohnen“ als „Schonen“ begriff. Im Fall von Moria wäre das eine zynische Betrachtungsweise. Die Bilder der Zustände in Moria, insbesondere nach dem Brand im September, gingen um die Welt und zeigten einerseits die menschenunwürdigen Zustände auf und appellierten gleichzeitig an die „europäische Solidarität“. Der gewaltvolle Moment in dieser Situation ist die europäische Indifferenz, also „[…] auf diese Bilder angemessen, d.h. mit Taten zu reagieren, die über eine moralische Geste oder Symbolpolitik hinausgehen.“

Philosophie, Architektur und Airbnb

Auf den ersten Blick erscheint eine Kombination aus Architektur und Philosophie etwas unkonventionell, aber bei genauerem Hinsehen ist das Wohnen, die Lebenswelt, das Zusammenleben und das menschliche Handeln ein Gegenstand, den die Philosophie und die Architektur miteinander teilen. Obdachlose bzw. wohnungslose Menschen sowie Gefängnisse und Unterkünfte für Geflüchtete werden an den Rand von Städten und der gesellschaftlich akzeptierten bzw. präsenten Gesellschaft gedrängt. In Innsbruck wurde das Alkoholverbot in der Maria-Theresien-Straße u.a. deswegen eingeführt, um trinkende Obdachlose aus dem Zentrum zu verbannen. Es gibt aber auch Konzepte und Versuche, um genau das Gegenteil zu erreichen: Diese „unbeliebten“ Menschen wieder in der Stadt sichtbar zu machen und auch zu integrieren. 

Ein weiterer Aspekt, den Michaela Bstieler betrachtet, bezieht sich auf das recht junge Phänomen der „sharing economy“, namentlich in diesem Fall: Airbnb. Vor der Corona-Krise wurde auf politischer Ebene viel über Airbnb diskutiert, bis hin zum Verbot von solchen Mietplattformen. Durch die Pandemie kam es verstärkt zu einem Umdenken, da es nun nicht mehr gewährleistet war, dass jede Woche neue Tourist*innen zu empfangen. Die Priorität verschob sich hin zu sichereren Optionen, wie jene der „klassischen“ Mietwohnung.

Klimakrise

„Wie wollen wir in Zukunft wohnen? Wie wollen wir wohnen gestalten? Wie wollen wir die Stadt gestalten, wenn es jetzt immer heißer und heißer wird?“ Diese und viele weitere Fragen stellt sich Michaela Bstieler im Hinblick auf ihre Arbeit. Hierbei kommen wir auch zu der einleitenden Frage dieses Artikels – was hat das jetzt mit Grünflächen und Temperatur-Hotspots zu tun? Die erwähnten Plätze zeichnen sich durch ihre Betonoberfläche aus, darunter befinden sich Tiefgaragen. Die Idee einer „autogerechten Stadt“ beruht dabei auf der Stadtplanung der 1950er bis 1970er Jahre. Die Tiefgaragen tragen dazu bei, dass mehr Autos in die Stadt fahren und parken können, aber gleichzeitig der Platz für die Menschen darüber zur Verfügung steht. Vernachlässigt wurde in diesem Zusammenhang aber, dass die Tiefgaragen die Gestaltung der Plätze mit Grünflächen aus statischen Gründen erschwerten bzw. zum Teil ganz unmöglich machten. Durch die fehlenden Grünflächen entstehen insbesondere dort extrem hohe Temperaturen. 

Wohnen & Gewalt, Klima, soziale Gerechtigkeit, ökonomische Emanzipation dies sind die zentralen Themen, die Michaela Bstieler in ihrer Arbeit erforschen möchte. Abschließend hält sie fest: „Zwischen diesen Entwicklungen gibt es einige verdunkelte Zusammenhänge, und die spezifische Aufgabe wird es sein, diese sichtbar zu machen und deren gewaltvolle Aspekte zur Diskussion zu stellen.“

Link zur Homepage:
https://www.uibk.ac.at/philosophie/institut/personen/bstieler.html

K[uns]T als gesellschaftskritisches Medium
https://kunst803.wixsite.com/k-uns-t

Philosophisches Café Innsbruck: Michaela Bstieler zu „Wellness und das (ganz) Andere. Kritik an einem postmodernen Imperativ“

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