Freitag, April 26

The Ludic Century: Was sind Game Studies?

von Simon Schöpf
Lesedauer: ca. 6 min.

Computer- und Videospiele seien in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen, sagte der Kommunikationswissenschaftler Jeffrey Wimmer 2017 bei einem Interview im Rahmen der Tagung „Kulturgut Computerspiel“. Nicht nur „Nerds“ und „Geeks“ nutzen nun ihre Freizeit, um in fremde Welten einzutauchen – durch die einfache Zugänglichkeit von „Mobile Games“ auf dem Smartphone und einer schier unendlichen Anzahl an Podcasts, YouTube Channels usw. befassen sich immer mehr Menschen mit Videospielen. Neben den Computerspielen erfährt momentan ein weiteres Genre ein „Revival“ bzw. stärkeren Zulauf: Pen & Paper Rollenspiele. Spätestens seit der Netflix Erfolgsserie „Stranger Things“ ist vielen „Dungeons and Dragons“ (D&D) zumindest ein Begriff. Wir haben Tobias Unterhuber von der Universität Innsbruck interviewt, um Näheres über die Forschung rund um Videospiele zu erfahren. Der Forscher findet die eingangs erwähnte Floskel aber zu kurz gegriffen: Das Interesse an Computerspielen wächst und die „Zugangsbeschränkungen“ nehmen ab, jedoch bedeute dies noch lange nicht, dass Videospiele in der „Mitte der Gesellschaft“ angekommen seien. Er zitierte dazu den Game Designer Eric Zimmerman, der sagte: „We are part of a ludic century“ – Wir sind Teil eines spielerischen Jahrhunderts, da so viele Aspekte unseres Lebens über Spiele funktionieren.

Was sind eigentlich „Game Studies“?

„Game Studies“ ist keine feste Disziplin, sondern ein interdisziplinärer bzw. transdisziplinärer Forschungsbereich, welcher sich mit Computer- und Videospielen beschäftigt. Das Forschungsfeld formierte sich am Ende der 1990er Jahre und ist gekennzeichnet durch verschiedenste Perspektiven. Die Forscher*innen kommen aus den Literaturwissenschaften, der Soziologie, der Ethnologie und den Geisteswissenschaften. Der Wissenschaftszweig ist allerdings nicht zu verwechseln mit „Game Design“, welches sich mit dem Erstellen von Spielen beschäftigt. Tobias Unterhuber befasst sich mit kulturwissenschaftlicher Computerspielforschung. 

Der Krieg als Innovator

Ebenso gehört der Ursprung von Computerspielen in den Bereich dieser Forschung. Einerseits können technologiegeschichtliche Fragestellungen beleuchtet, andererseits auch kulturwissenschaftliche Ansätze verfolgt werden. Forschung an Videospielen beginnt dabei nicht zwingend bei den ersten digitalen Spielen wie „Pong“. Ideen, Konzepte und Mechaniken in modernen (Computer-)Spielen können vielfach auf bereits vorhandene Spiele zurückverfolgt werden. Zum Teil bedingen sie sich sogar gegenseitig. Abgesehen von Schach oder dem Soldatenspiel aus der römischen Antike und deren vielen verschiedenen Abwandlungen, kann z.B. D&D auf das „Kriegsspiel“ des Preußischen Hofkriegsrat Georg Leopold von Reiswitz am Beginn des 19. Jhd. zurückgeführt werden. Das von ihm erfundene Planspiel sollte Offizieren beim Erlenen von Taktiken helfen und so bei einer kriegerischen Konfrontation einen Vorteil bringen. Der Erfinder von D&D, Gary Gygax, spielte modernere Abwandlungen dieses Strategiespiels und entwickelte daraus in den 1970er Jahren das erste Pen & Paper Rollenspiel. Die Mechaniken aus diesem Spiel wurden in weiterer Folge (und sobald die technischen Grundlagen dafür vorhanden waren) wiederum in Videospiele übertragen.

„Remediation“ und Kochshows

Die zwei Medientheoretiker Jay Bolter und Richard Grusin entwickelten den Begriff „Remediation“ am Ende der 1990er Jahre. Dabei geht es um neue Medien, die Formen von alten Medien übernehmen. Dieser Prozess ist aber keine „Einbahn“, sondern funktioniert auch in die andere Richtung. So werden z.B. Elemente aus Videospielen wieder in Brettspiele oder auch Filme eingebaut. Eine neue Entwicklung ist die Vielzahl an (durchaus lukrativen) Streamingplattformen wie z.B. „Twitch“. Dabei können Interessierte anderen Spielern beim Spielen zusehen und den Streamern dafür Geld geben. Tobias Unterhuber vergleicht dieses Phänomen mit Sportübertragungen oder Kochshows: „Kochshows sind auch skurril. Warum sollte ich jemandem dabei zuschauen wie er/sie etwas kocht, das ich dann nicht mal essen kann? […] Wenn ich Interesse an einem Spiel habe, warum spiele ich es dann nicht selbst oder mach mir selbst Gedanken? Das ist eine andere Art von Faszination und das Beobachten ist eine sehr andere Position als die Teilnahme an einem Spiel.“

„Arschloch“ around the globe

„Arschloch“ ist nicht nur eine vulgäre Beschimpfung, sondern auch der Name eines Kartenspiels. Das Spielprinzip beinhaltet, dass durch Ablegen von Karten ein höherer Status erreicht werden kann (König, Präsident etc.). Dabei wird gleichzeitig versucht, die anderen Mitspieler*innen „unten“ zu halten. Abwandlungen dieses Spiels finden sich in verschiedenen Kulturen, wie z.B. Japan oder auch in den skandinavischen Ländern und eben im deutschsprachigen Raum. Tobias Unterhuber hält dazu fest: „Da haben wir sowohl transkulturelle als auch transhistorische Momente, die immer wiederkehren. [Arschloch] ist ein großartiges Beispiel dafür, wie selbst sehr einfache Spiele soziale Beziehungsgeflechte abbilden. Die, die ‚oben‘ sind, bleiben auch ‚oben‘ und die, die ‚unten‘ sind, sollen ‚unten‘ bleiben.“

Verbotene Kontexte und Gender Studies

Seit den 1990er Jahren gibt es eine Vielzahl an Ego-Shootern und auch Strategiespielen, die Elemente aus dem Zweiten Weltkrieg (inkl. verfassungsfeindlicher Symbole) übernahmen. Der Fokus dieser Spiele lag zumeist auf dem Prinzip „Gut gegen Böse“. Die „Nazis“ waren (meistens) die Bösen, die bekämpft werden mussten und dies geschah fast immer aus der Sichtweise eines weißen Mannes. Es ging aber hauptsächlich um die kriegerische Auseinandersetzung und nur selten wurden die Gräueltaten der Nationalsozialisten dabei in irgendeiner Weise thematisiert. In den letzten Jahren erschienen mehrere Indie-Games, die sich diesem vernachlässigten Thema widmeten und z.B. den Zweiten Weltkrieg aus der Sicht von Widerstandskämpfer*innen beleuchteten wie Through The Darkest of Times. In diesen Spielen geht es nicht darum, sich mit Panzern in eine „epische Schlacht“ des Krieges zu stürzen, sondern Leben zu retten oder das Regime zu sabotieren. Zeitgleich versuchen immer mehr Spieleentwicklerstudios, Frauen als Protagonistinnen zu etablieren. In Spielen mit einem historischen Hintergrund geht es einerseits um eine akkuratere Darstellung der Ereignisse (vgl. dazu die sogenannten „Nachthexen“) und andererseits darum, einen weiteren (Kauf-)Anreiz für Spielerinnen zu schaffen oder auch wirklich mehr Repräsentation zu schaffen. Die Etablierung von spielbaren weiblichen Charakteren wurde dabei nicht kritiklos aufgenommen. Es gab z.T. negatives Feedback, welches sich in Foren der jeweiligen Spiele- und Nutzerbewertungen niederschlug. Deswegen entschied sich eine Spieleschmiede, trotz besseren Wissens, Frauen nicht in ein Kriegsspiel zu integrieren, mit der Begründung: „This is not the reality our fans believe in.“ Game Studies befassen sich in diesem Zusammenhang auch mit Politik bzw. der Frage, wie und auf welche Art Spiele politisch sind.

Forschung vs. Genuss

Zum Abschluss unseres Interviews fragten wir Tobias Unterhuber noch, ob er Computerspiele durch seine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Thematik überhaupt noch genießen könne. „Das ist die Frage, die man Literaturwissenschaftler*innen gerne stellt. Wenn man sich wissenschaftlich sowohl mit Literatur, Filmen, Serien und Spielen beschäftigt, dann bleibt überraschend wenig über, was man ‚nur‘ für die Freizeit konsumieren kann. Gleichzeitig aber würde ich nicht auf diese Art von Blick verzichten wollen. Das ist auch eine Form von Genuss. Oder wenn einen das erfüllt/gefällt, was man tut, dann kann man davon viel profitieren. […] Es wäre schon gut, eine Sache zu haben, die man nur zur Freizeit macht. Vielleicht sollte ich doch anfangen wieder Sport zu machen oder bergzusteigen, aber das ist nicht so meins“, schloss der Forscher lachend ab. 

Weiterführende Links/Literatur und Leseempfehlungen:

Tobias Unterhuber an der Universität Innsbruck

https://www.uibk.ac.at/germanistik/mitarbeiter/tobias_unterhuber/

Paidia Zeitschrift für Computerspiel Forschung

Wissenschaftliche Konferenz zu Videospielen:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert