Samstag, April 27

Cannabis bei Morbus Parkinson?

Von Simon Schöpf
Lesezeit: ca. 4 min.

Gleich vorneweg: Mit Cannabis kann die Parkinson Erkrankung nicht geheilt werden. Diese Hoffnung muss ich euch leider nehmen. Dafür können wir ein paar spannende Einblicke in das Forschungsgebiet der Neurologin Marina Peball, von der Medizinischen Universität Innsbruck, geben. Sie beschäftigt sich mit Bewegungsstörungen in der Neurologie und veröffentlichte vor kurzem ein Paper zur Cannabis-basierten Therapie von nichtmotorischen Symptomen (NMS) der Parkinson Erkrankung. Mit Hilfe eines synthetischen Cannabinoids konnten die NMS gelindert werden. Aber was ist Morbus (Mb.) Parkinson eigentlich?

Morbus Parkinson – eine unheilbare neurodegenerative Krankheit

In Tirol leiden ca. 2000 Menschen an der Parkinson Erkrankung, jedes Jahr kommen durchschnittlich 200 dazu. Männer sind in etwa zwei Mal häufiger betroffen wie Frauen. Mb. Parkinson ist damit die zweithäufigste neurodegenerative (Abbau von Nervenzellen) Krankheit nach der Alzheimer Krankheit. Neben den typischen motorischen Symptomen, wie z.B. Tremor oder Muskelstarre, treten auch nichtmotorische Symptome wie u.a. Depressionen und Schlaf- sowie Wahrnehmungsstörungen bei den Patient*innen auf. Ziel der Studie der Arbeitsgruppe war es, die Verwendung von Cannabis- Präparaten für NMS zu untersuchen, um diese zu lindern – mit Erfolg. Zum Einsatz kam das Medikament „Nabilon“. Dieses ist ein synthetisches Cannabinoid, welches im Vergleich zu natürlichem THC den Vorteil eines kontrollierten Nebenwirkungsprofils und von weniger Euphorie hat. Das synthetische Cannabinoid ahmt die Wirkung des natürlichen THC nach und stimuliert somit Cannabinoid 1 und 2 Rezeptoren, welche sich im gesamten Körper verteilt finden lassen. Eine Häufung von CB1 Rezeptoren wurde im Gehirn in den sogenannten Basalganglien in der weißen Substanz beschrieben, wo auch die der Bewegungsstörung zugrundeliegende Neurodegeneration stattfindet. 

Pilotstudie

Die Idee zur Pilotstudie entstand aufgrund der Nachfrage von Patient*innen, die sich mehrfach über medizinisches Cannabis erkundigten. Die bisher veröffentlichten Studien im Zusammenhang mit Cannabinoiden und Mb. Parkinson konnten deren therapeutischen Wert bei der Erkrankung nicht endgültig klären, was auch an kleinen Fallzahlen und fehlenden Kontrollgruppe (Placebogruppe) liegt. Somit ist die Untersuchung von Marina Peball die weltweit erste kontrollierte Studie, in der nachweislich die NMS der Parkinson Erkrankung mit Hilfe eines synthetischen Cannabinoids gelindert wurden.

Sarkopenie und Frailty

Marina Peball gehört der Arbeitsgruppe für Bewegungsstörungen der Universitätsklinik für Neurologie an der Medizinischen Uni in Innsbruck an. Im Zusammenhang mit ihrer Forschung erzählte sie uns von den zwei großen „Geriatric Giants“: Sarkopenie und Frailty. Mit Frailty ist die Gebrechlichkeit mit erhöhter Anfälligkeit für Stressoren gemeint, welche klinisch anhand von Müdigkeit, Gewichtsverlust, Muskelverlust und erhöhtem Energieverbrauch definiert ist. Hierbei spielt im weiteren Sinne aber auch die psychosoziale Komponente eine Rolle. Sarkopenie ist, vereinfacht ausgedrückt, der Verlust von Muskelmasse und -kraft im Alter und wird als ein Teil von Frailty angesehen. Da unsere Gesellschaft immer älter wird und Frailty und Sarkopenie wichtige Faktoren für Unabhängigkeit im Alltag, Lebensqualität und Morbidität sind, hat die Erforschung ihrer Ursachen und möglichen Behandlungen in den letzten Jahren einen deutlichen Zuwachs erfahren, mit dem Ziel ein würdevolles Altern zu ermöglichen. Dazu mussten aber zuerst die beiden „Giants“ definiert werden, was bei Frailty im Jahr 2001 geschah. Sarkopenie wurde erst 2010 von der „European Working Group on Sarcopenia in Older People“ konkretisiert und 2018 adaptiert. Im klinischen Alltag kann man Sarkopenie und Frailty mit Hilfe von Fragebögen, eines Hand-Kraft-Messgerätes sowie mit der Messung der Ganggeschwindigkeit der Patient*innen bestimmen. Zusätzlich ist für die Bestimmung von Sarkopenie die Muskelmasse ausschlaggebend, was am einfachsten mit einem Bioimpedanzmessgerät erfolgen kann. Technisch anspruchsvoller kann die Muskelmasse mittels Dual-Röntgen-Absorptiometrie (DEXA), einem Magnetresonanztomographen (MRT) oder Computertomographen (CT) bestimmt werden. Bei einer Studie von 2016 bis 2018 (siehe Link unten) wurden über 100 Mb. Parkinson Patient*innen mit Hilfe von Fragebögen auf das Vorliegen von Sarkopenie und Frailty gescreent, wobei ein gehäuftes Auftreten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe festgestellt wurde. Marina Peball forscht nun daran, inwiefern die Parkinson Erkrankung und Sarkopenie/Frailty zusammenhängen. Besonders spannend ist dabei auch die Kontroverse über die Darstellung der Krankheit von James Parkinson selbst. Dieser beschrieb die nach ihm benannte Krankheit um 1800 mit „lessened muscular power“ – ob er damit die verlangsamte und reduzierte Beweglichkeit per se oder tatsächlich eine reduzierte Muskelkraft meinte, daran scheiden sich die Geister. 

Ein Foto von Marina Peball und falls ihr euch fragt, wie die Geräte aussehen: in der Mitte seht ihr die Bioelektrische Impedanzwaage und rechts das Handdruckgerät. Ganz schön cool!

Auslöser unbekannt

Wichtige Veränderungen, die an Nervenzellen von Patienten*innen mit Mb. Parkinson festgestellt werden können, sind Ablagerungen des Proteins α-Synuclein. Die Summe der zugrundeliegenden Veränderungen führt zu einer Zelldysfunktion und letztendlich zu einem Zelluntergang in Bereichen, die für die Steuerung der Bewegung zuständig sind. Als Folge dessen herrscht hier Dopaminmangel, welcher den typischen motorischen Symptomen der Erkrankung zugrunde liegt. Welcher Faktor schlussendlich die „Kettenreaktion“ auslöst, ist jedoch noch nicht geklärt. Als neuester kausaler Therapieansatz wird aktuell in Forschungsstudien die Applikation eines Anti-Alpha-Synuclein-Antikörpers getestet, die das Protein „auffangen“ soll, mit dem Ziel, das weitere Fortschreiten der Krankheit zu verhindern.

Forschung im Alltag

Neben dem Interesse ihren Patient*innen zu helfen findet Marina Peball ihr Forschungsgebiet und auch den klinischen Alltag spannend, da man Bewegungsstörungen oft ohne viel weitere apparative Diagnostik durch genaues Beobachten schon besser einordnen kann. „Ich war vor Jahren im Rahmen einer Besichtigung zufällig am Ende einer Messe im Kölner Dom wo mehrere Priester einen feierlichen Auszug aus der Kirche machten. Allein von der Beobachtung ihrer Haltung und spontanen Beweglichkeit her konnte man bereits sagen, dass einige von ihnen ein Parkinsonsyndrom haben. Für eine endgültige Diagnose der Ursache braucht man natürlich mehr Informationen und eine genaue körperliche Untersuchung – aber prinzipiell: Motorische Störungen mit dem freien Auge zu erkennen und sich Gedanken über den Ursprung des Problems (z.B. im Gehirn, Rückenmark oder der Peripherie) zu machen, ist sehr spannend“. Abschließend hält die Forscherin fest: „In meinem Forschungsgebiet gibt es noch viele offene Fragen und Bereiche in denen positive Forschungsergebnisse das Leben von Patienten*innen mit der Parkinson Erkrankung vielleicht verbessern können.“

Link zur Presseaussendung und Publikation:
https://www.i-med.ac.at/mypoint/news/748324.html

Research Gate Profil von Marina Peball:
https://www.researchgate.net/profile/Marina_Peball

Weitere Infos:
https://www.i-med.ac.at/neurologie/klinisch-wiss-bereiche/bewegungsstoerungen.html

Sarkopenie und Frailty:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC6322506/
https://academic.oup.com/biomedgerontology/article/56/3/M146/545770
https://www.derstandard.at/story/2000093758956/sarkopenie-ist-jetzt-eine-muskelerkrankung

Sarkopenie und Frailty Paper (Paywall):
https://www.karger.com/Article/Abstract/492572

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert